In der heutigen Reise-Episode erfahrt ihr endlich, welche Aufgabe bei meinem Zwischenstopp in Neuss auf mich gewartet hat und wie diese die komplette restliche Reise völlig auf den Kopf gestellt hat.
Die Bildstrecke ist dazu passend heute sehr vielfältig. Es gibt Architekturaufnahmen vom Landtag in NRW, Aufnahmen des rheinischen Braunkohlereviers sowie Bildmaterial aus einem belgischen Wald.
Im Textbeitrag erfahrt ihr, was mein damaliger Professor mit der Sache zu tun hat.
Wie das alles zusammenhängt? Hört es euch im Podcast an!

📸 Bildstrecke

Der Plenarsaal im NRW-Landtag von der Empore aus gesehen
Der gläserne Fahrstuhl im Landtag braucht für zwei Etagen weit über eine Minute. Das ist allerdings extra so angelegt, um sich die Zeit zu nehmen das Haus genau unter die Lupe zu nehmen.
Die Galerie der ehemaligen Landtagspräsidenten. Ja, bewusst gegendert.
Mein letzter Blick auf den Rhein, kurz bevor es für mich weiter ging.
Rechts: Während eines Lockdowns hat die Landesregierung Kinder gebeten ihnen Steine mit persönlichen Wünschen zuzusenden. Über 5000 Steine sind zusammengekommen.
Ein Modell des Landtags von oben. Der Architekt hat alle Formen des Hauses rund gedacht
Mein wichtigstes Motiv aus meiner Werkreihe Garzweiler: Dieses Bild zeigt den ehemaligen Ort Pesch.
Skelett im Ort Pesch
Wie ich es in der Folge beschrieben habe: Überreste einer Jugend fanden sich immer wieder an den merkwürdigsten Orten. Hier in einer Gärtnerei.
Dieses Bild zeigt einen Tannenbaum mit Weihnachtsbeleuchtung.
Mit selbst gebauter Glasplattenrückteile habe ich selbst aufgetragene Emulsionen per Großbildkamera belichtet und entwickelt.
Die Freiheitsstraße im verlassenen Dorf Immerath.

📝Textbeitrag

Getting to know Marcel Odenbach

Es war Zeit für die Abschlussprüfung des zweiten Semesters und die Zeit, in der sich jeder Studi eine Künstlerklasse suchen musste. Wer keine Klasse fand, würde – kein Witz – auf dem Flur arbeiten müssen. Man würde dann zu einer so genannten, Flurstudent:in. Wer daraufhin binnen zwei weiterer Semester auf dem Flur keine Klasse fand, würde exmatrikuliert werden. 

Der Druck war also groß eine Professor:in zu finden. Aber nicht nur das. Zum Abschluss des Semesters lief immer eine Prüfungskommission an Professor:innen durch die Räume der Zweitsemester. Diese Kommission hatte die Möglichkeit jemanden wegen zu geringen künstlerischen Aussichten durchfallen zu lassen. Auch dann war das Studium beendet. 

Ich hatte mich bei den beiden Fotografieprofessoren beworben, die es an der Uni gab. Von einem hatte ich schon eine Absage bekommen. Vom anderen, Andreas Gursky, noch nichts gehört. Andreas Gursky war zu dieser Zeit der Mensch, mit der teuersten Fotografie der Welt. Meine Chancen bei ihm in die Klasse zu kommen, empfand ich also als sehr gering. Insgesamt keine besonders gute Voraussetzung. 

Ich stand also da, an meiner kleinen, aber sorgfältig abgetrennten Atelierwand und hoffte, dass Prof. Gursky evtl. mit in der Kommission wäre und mir spontan ein Angebot für seine Klasse machen würde. Je länger ich wartete, desto höher wurde der Druck. Da kamen fünf Menschen zu mir gewandert, keiner davon Gursky. 

Einer war ein drahtiger Mann, mit einem für seine Statur etwas zu weitem Hemd, einem Pullover von Ralph Lauren darüber, mit schwarzer Hornbrille und exakt gemachtem Haar. Eigentlich war er zu schick für die ansonsten sehr stereotyp „künstlerisch“ vor mir stehende Menge an Professor:innen. Sie fragten mich allerhand und am Schluss meinte der schicke zynisch: Sagen Sie mal, was machen sie denn eigentlich, wenn Sie der Gursky nicht nimmt? 

Ich war perplex, angepiext und überfordert zugleich. Richtige Frage zum falschen Zeitpunkt. 

„Äh, ja.. also ich hab mir überlegt es noch bei ein paar anderen Professoren zu probieren…“ entgegnete ich ohne sonderlich überzeugend zu wirken. 

„Aha…“ gab mir der Schicke etwas spitz zurück, ehe sich die Gruppe grußlos bei mir bedankte und weiter zum nächsten Studenten schritt.. 

War ich durchgefallen? Keine Ahnung… 

Ich ging raus zu einer Bekannten, die in der Klasse von Marcel Odenbach war und erzählte ihr mit hängendem Kopf von meiner Performance. Wie konnte mich der Typ so auflaufen lassen. In einer Prüfungssituation. Wo waren wir denn? Bei Germanys next topmodel? Und überhaupt, wer war der Typ eigentlich?

Wie ich den Schicken so beschrieb, fing meine Bekannte an zu lachen. Er war nicht irgendwer, er war Marcel Odenbach. Und sie meinte nur: „Das war das eindeutigste Zeichen, dass du bekommen kannst, dass Marcel dich in seiner Klasse haben möchte. So isser halt.“

Und ja, was soll ich sagen: So isser halt. Heute weiß ich das und ich schätze ihn sehr. 

Nach dem Ende der Kommissionsrunde bin ich also zu ihm und meinte nur: „Herr Professor Odenbach. Vorhin… was Sie da gesagt haben… hieß das, dass ich zu Ihnen in die Klasse kommen kann?“ 

Mit absoluter Selbstverständlichkeit kam er mir entgegen: „Ja natürlich, was hätte es denn sonst bedeuten sollen? Ja sicher, gerne können Sie kommen.“ 

Und so ich sagte zu. Ohne zu wissen was er eigentlich für Kunst macht. Und von da an habe ich dann nicht mehr Fotografie, sondern offiziell Film studiert.

Wie sich später rausstellte, war das im Grunde egal – und das beste, was mir hätte passieren können. 

Es gab zwei Arten von Professoren an der Uni. Die, in dessen Namen man sich baden konnte.. als Gurskyschüler stehen einem beispielsweise die Galerien der Welt offen. Und es gab die Förderer. Die Menschen, die ihre Studierenden befähigen selbst zu denken, die sie aufforderten ihren eigenen Weg zu gehen, auch wenn das nicht der Weg ist, den die Professoren selbst für sie vorsehen würden. 

Marcel Odenbach gehörte ganz klar zu den zweitgenannten. 

Obwohl ich wenig da war, schlug er mich zwei Jahre später für die Studienstiftung des Deutschen Volkes vor. Er war überzeugt von meiner Arbeit und meinem Fleiß. Wieder ein Jahr später, unterstützte er auch mein Auslandsjahr gegenüber der Stiftung, obwohl er eigentlich dagegen war. 

Die Studienstiftung gab mir das Stipendium, bezahlte das Auslandssemester. Und das war, drei Jahre nach dem Tod meiner Mutter, das Ende meiner steten Trauer. Ohne ihn wäre vieles davon nicht möglich geworden.  

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